Die Göttin in der U-Bahn
Arbeitsameisen und Filmdiven
Vor einiiger Zeit machte ich die Bekanntschaft einer mir bis dahin unbekannten Spezies: spirituelle Feministinnen. Politische Feministinnen hatte ich schon während meines Studiums kennengelernt, aber diese Variante war mir neu. Sie verehrten die große Göttin (zumindest sagten sie das) und waren im großen und ganzen ein recht farbloser Haufen. Göttinnenenergie schien für sie zu bedeuten, ständig am Tun und Machen zu sein. Ich bekam stark den Eindruck von Arbeitsameisen. Es schien ihnen schwerzufallen, einfach nur zu sein.
Das fand ich merkwürdig, denn ich hatte mir die Göttin immer völlig anders vorgestellt. Für mich ist sie sowas wie eine Filmdiva. Sie schläft morgens lange aus, blinzelt so gegen zehn Uhr ganz vorsichtig in die Sonne, kuschelt dann erstmal ein wenig mit ihrem aktuellen Lover und läßt sich danach von ihm das Frühstück ans Bett bringen. Nach einem gemütlichen gemeinsamen Frühstück stylt sie sich lange und ausgiebig die Haare und legt Make-up auf, bevor sie aus dem Negligé steigt, um ein salonfähiges Outfit anzulegen. Schönheit und Liebe sind ihr Lebenselixier, Hektik und Getriebe jeder Art sind ihr ein Greuel. Die geschäftigen Arbeitsameisen würden sie wahrscheinlich die Wände hochtreiben.
Aber vielleicht war meine Göttin ja Aphrodite, die Liebesgöttin, während die Arbeitsameisen die Göttin Hestia verehrten, die Bewahrerin von Heim und Herd. Es wäre immerhin denkbar – auch wenn ich mich nicht des Eindrucks erwehren konnte, daß die guten Arbeitsameisen eigentlich einem patriarchalischen Leistungsideal auf den Leim gegangen waren. Mit der hausfräulichen, stets dienstbereiten Weiblichkeit, die sie als Ideal hochhielten, hatte ich jedenfalls noch nie viel anfangen können. Doch sie hatten mich verunsichert. Gab es am Ende doch nur eine Göttin – nämlich ihre? Die Vorstellung war deprimierend.
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Die Göttin in der U-Bahn
Dann sah ich die Verkörperung der Göttin – meiner Göttin – leibhaftig in der U-Bahn. Es war eine Offenbarung.
Es war nach elf Uhr nachts. Ich kam gerade von einer BVV-Sitzung in Mitte, wo unter anderem heiß darüber diskutiert worden war, ob Turnhallen eine menschenwürdige Unterbringung für Flüchtlinge seien. Die Mehrheit der Bezirksverordneten fand das nicht menschenwürdig. Als ich nach Ende der Veranstaltung in den U-Bahnhof Schillingstraße kam, schliefen dort zwei Obdachlose in Decken und Zeitungen gewickelt. Aha, Turnhallen waren also menschenunwürdig, aber daß Leute mitten im Winter in U-Bahnhöfen nächtigen mußten, weil sie kein Dach überm Kopf hatten, das war scheinbar ganz normal.
Als ich dann am Alex in die U2 umstieg, traf mich die Offenbarung. Direkt mir gegenüber saß eine bemerkenswerte Frau. Ihr Alter war schwer zu schätzen – sie war wohl irgendwo zwischen Mitte vierzig und Mitte fünfzig -, aber das spielte auch gar keine Rolle, denn sie war von einer zeitlosen Schönheit und hatte unglaublichen Stil. Sie trug eine knackig enge Lederhose, dazu schwarze Westernstiefel und einen kurzen Nerzmantel mit Stehkragen. Ihre Lippen waren knallrot geschminkt, sie hatte unglaublich lange Wimpern, und ihre riesengroßen strahlenden Augen waren mit gefühlt einem Pfund Kajal dekoriert. Ihr dunkles Haar war mit viel Gel straff zurückgekämmt und zu einem Pferdeschwanz gebunden. Aus ihrem schwarzen Handtäschchen zog sie das größte Handy, das ich je gesehen hatte. Scheinbar schrieb sie eine SMS an ihren Liebsten, denn sie lächelte so sinnig vor sich hin, während sie überlegte, was sie ihm erzählen wollte.
Wow, dachte ich, von dieser Selbstverständlichkeit könnte ich auch etwas gebrauchen. Was sollte ich mich mit der Vorstellung der Arbeitsameisen von Weiblichkeit und Göttinnenenergie abgeben, wenn doch hier die Göttin direkt vor mir saß? So wie sie sollte ich mehr werden, statt zu versuchen, dem gutbürgerlichen Ideal dieser Frauen zu entsprechen. Schon vor Jahren, als ich die Subpersönlichkeits-Übungen von Julia Cameron machte, war dabei eine Diva aufgetaucht, die dieser Göttin hier vor mir zum Verwechseln ähnlich sah. Aber ich hatte sie nicht wirklich in mein Leben eingelassen. Mir fehlte einfach das Selbstbewußtsein dafür.
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Unbeschreiblich weiblich
Ich versuchte mich in diese Energie hineinzuversetzen. Wie wäre ich, wenn ich wüßte, daß ich schön bin, wenn ich wüßte, daß ich geliebt bin, wenn es mir völlig egal wäre, ob andere Leute denken, daß dieser Kleidungsstil für mein „Alter“ nicht passend ist und daß ich besser mal „vernünftig“ und „erwachsen“ werden sollte, ein „nützliches“ Mitglied der Gesellschaft? Wenn ich einfach die Göttinnenpower in die Welt hinaus strahlen würde, ohne mir Gedanken darüber zu machen, was irgendwelche Feministinnen von mir halten? Wenn ich mir den Nerz und das Megahandy und den Konsum und das Make-Up einfach erlauben würde, auch wenn die Jute-statt-Plastik-Fraktion dann laut aufjault?
Während ich noch dabei war, mir das vorzustellen, stiegen zwei in Kicheranfällen explodierende jüngere Frauen ein. Offenbar hatten sie gerade etwas total Lustiges erlebt. Die eine konnte kaum das Lachen bezwingen, und die andere ließ sich davon auch immer wieder anstecken. Die SMS textende Göttin sah vom Handy hoch, lächelte, ihr strahlender Blick traf meinen – ich war natürlich auch am Grinsen – und für eine Sekunde gab es so etwas wie ein Einverständnis zwischen uns. Dann schrieb sie wieder weiter. An der nächsten Station stieg ich aus.
Smile at the world
Das ist jetzt fünf Wochen her. Seitdem ist ein wunderhübsches achtjährges Mädchen mit langen roten Haaren in meinen Träumen aufgetaucht. Sie hat ein ungetrübtes Selbstbewußtsein und die bezauberndsten Grübchen. Im Traum sollte sie eine Filmrolle spielen. Ihre erwachsene Version wäre vermutlich selbst eine Göttin, oder zumindest ein Supermodel. Wenn ich mich mit ihrer Energie verbinde, fangen starke Ströme an zu fließen. In meinem äußeren Leben hat die Begegnung mit der Göttin bis jetzt noch keine sichtbaren Spuren hinterlassen. Aber ich weiß, daß diese Dinge ihre Inkubationszeit brauchen, und es arbeitet in mir.
Man darf gespannt sein, wie es weitergeht … stay tuned! 🙂